Sizilien – die südlichste Küche Europas auf der größten Insel des Mittelmeers

Sizilien Tempel Agrigent - Foto: Reinhold Werner/Wikipedia

Sizilien, Dorischer Tempel in Agrigent – Foto: Reinhold Werner/Wikipedia

Sizilien ist beinahe eine afrikanische Insel. Seine Südspitze liegt sogar 100 km südlicher als Afrikas Nordspitze. Die Hafenstadt Marsala an der sizilianischen Westküste liegt vis-a-vis den afrikanischen Städten La Marsa (welch schöne Namens-Symmetrie!) und Tunis. Als Brücke nach Afrika ist Sizilien Europa und Italien in Extremform. Nur die Südausläufer Spaniens (Gibraltar) und Griechenlands (Peloponnes, Kreta) reichen noch weiter nach Süden als Sizilien.

In oder auf Sizilien ist alles eine Nummer intensiver als auf dem italienischen Stiefel: Es ist wärmer, im Sommer sehr warm – jedenfalls im Inselsüden unter dem Einfluss afrikanischer Winde (Scirocco). An den übrigen Küsten und im Binnenland der Insel sind die Temperaturen angenehmer. Aber auf Sizilien kann man nie sicher sein: Im Binnenort Catenanuova (weit landeinwärts von Catania) wurde 1999 die höchste in Europa bisher überhaupt gemessene Temperatur festgestellt: 48,5 Grad Celsius. Nicht von ungefähr wurde auf Sizilien das kühlende Speiseeis erfunden (zwar nicht von den Sizilianern, sondern von Römern in deren Besatzungszeit – aber eben auf und für Sizilien, und man benötigte dazu den Ätna). Eine Szilien-Reise ist zwar sehr empfehlenswert, und wir empfehlen eine Reise dorthin ausdrücklich. Aber es muss ja nicht unbedingt im Sommer sein, es sei denn Sie sind eine besonders „wärmeliebende Pflanze“.

Eine Reise nach Sizilien ist in gewisser Weise etwas für Spezialisten: Für Interessenten in Sachen besondere Kulinarik, besondere Geschichte und besondere Natur. Diese verschiedenen Zutaten verbinden sich auf Sizilien zu einer ganz besonderen Mischung, und das macht das eigentlich Sizilianische bzw. seinen Reiz aus. Die antiken Griechen haben einst ihre Säulen nach Agrigent gebracht, aber auch die Oliven und den Wein(anbau), die alten Römer erfanden hier das Speiseeis. So lebt das antike Europa in Siziliens Küche fort.

Auf weite Strecken ist aber die sizilianische Küche bis heute durch ihre arabischen Wurzeln geprägt, denn die Insel stand viele Jahrhunderte unter arabischer Herrschaft. Die Sizilianer selber haben später viel Arabisches auf ihre Weise genutzt oder weiter entwickelt: Für ihren Weinanbau wendeten sie Bewässerungstechniken aus arabischer Herrschaftszeit an, ihre arabischstämmigen opulenten Süßspeisen findet man heute in inselweit unterschiedlichen Rezepturen und Gestaltungen. Dies gilt auch vieles andere, was die vielen wechselnden Fremdherrscher Siziliens  in dessen Küche und auf den Tisch gebracht haben: Belagerungszeiten und Fremdherrschaften schlagen sich immer auch in Esskultur, Küche und Backstube nieder, nicht nur auf Sizilien. Ohne die wiederholten Belagerungen Wiens durch die Türken zum Beispiel gäbe es heute keine Kipferln, denn die sind ja nichts anderes als ein Gebäck in Form des türkischen Halbmonds. Und bestimmt hätte Mozart auch keine Oper über „Die Entführung aus dem Serail“ und keinen „Türkischen Marsch“ geschrieben. Beim Wiener Schnitzel war es allerdings umgekehrt: Das haben die Wiener Heere selber aus ihrer Besatzung Oberitaliens mit nach Hause gebracht, so gut hatte ihnen in Mailand die „Co(s)toletta alla milanese“ gemundet.

Mindestens eine ihrer vielen Delikatessen haben die Sizilianer allerdings selbst erfunden (wenn auch sicherlich die importierte Liebe zum Süßen dabei Pate stand). Als im Jahre 1308 Papst Clemens V. die Insel besuchte, bestückte man ihm zur Freude einen Apfelbaum mit „künstlichen“ Äpfeln, die täuschend echt aus Marzipan gemacht waren. Das war die Geburtsstunde der Frutti della Martorana („Früchte aus Marzipan“), die bis heute eine sizilianische Konditorei-Spezialität sind.

Die sizilianische Küche ist heute immer echt sizilianisch, hier wird kaum irgendwo „für Touristen“ gekocht, dafür wäre sich ein echter sizilianischer Koch viel zu schade. Sizilien ist Sizilien – der Inselname hat schließlich zwei „i“, wie „Risiko“. Es gibt in Europa nur noch wenige ähnlich spannende Reiseabenteuer. Ein Küchenabenteuer ist Sizilien zwar ebenfalls – aber eines nach dem Motto „Wer wagt, gewinnt“, denn so mancher hat schon seine Liebe zu den besonderen Kreationen der Region entwickelt und möchte das eine oder andere zu Hause als Vorspeise genießen oder sizilianische Elemente in seine Küche einführen. Nur Mut!